Erinnere mich am Abend an ein Bilderbuch, das mir mein Vater als Kind einmal vorgelesen hat. Das Riesenspielzeug hiess es. Ich erinnere Bilder auf denen ein riesiges Kind im rosa Spitzenkleidchen im Himmel spazieren geht. Das Buch hat damals einen starken Eindruck hinterlassen wie auch die drei Räuber von Ungerer. Aber am meisten hat doch, das muss ich sagen, das Buch Zeraldas Riese eingeschlagen. Einmal hing vor ein paar Jahren ein Plakat in der Bibliothek, auf dem das Titelbild des Buches abgebildet war. Ich stahl es und hängte es in mein Zimmer. Der Riese ist eine Art Bikertyp und Zeralda ein blondes grossäugiges Mädchen. Auf Dauer schien mir diese Aktion dann doch zu sehr nach einem ödipalen Konflikt zu schreien und ich hängte das Plakat wieder ab. Nun hängt stattdessen Max Ernsts la-puberte-proche-ou-les-pleiades da. In einer aalglatten Oberflächenwelt, wo nur Optimales zählt und man beim kleinsten Pixelfehler im Künstlerportrait Herzflattern bekommt, ist dieses Bild eine wahre Genugtuung. Ernst hat darin ungeheuer schöne Patina durch rissige Oberflächen hergestellt. Der Ehemann, der sich immerzu über die Neuzeit und deren Thematiken informiert, erklärte mir neulich dann dass ich nicht WOKE sei. Das müsse man heute sein. Verpennt oder gar zauderig ginge gar nicht mehr. Ich sagte ihm, das mir das am Arsch vorbei ginge, da ich kein Interesse daran hätte WOKE zu sein und sich diese woken Mäuse mit ihrem Engagement mal lieber in einer Wildschweinkuhle suhlen sollten, da sie dadurch eventuell mehr Bodenhaftung bekommen täten. Da wir uns sowieso einig waren, verlief sich das Thema dann wieder. Wir gucken dann lieber ein bißchen im Buch der Mode das Phaenomen der Mühlsteinkrause an. Eine Mühlsteinkrause ist so eine weisse Halskrause, die man Anno dazumal trug, um seinen edlen Kopf damit hervorzuheben. Es gab ganz unterschiedliche Modelle, am Ende blieb das sogenannte Beffchen übrig. Dieses weisse Fähnchen oben am Talar des Pfarrers. Es ist sozusagen der letzte Rest der Mühlsteinkrause. Gestern schüttelte ich kräftig den Eisensaft (Elixier bei Mangelzuständen) und leider war der Deckel nicht richtig verschraubt und somit spritzte der rote Saft die ganze Küchenwand voll. Mit einem Strohhalm versuchte ich das teure Zeug dann schnell noch abzusaugen, doch es war dann schon eingezogen. Inzwischen ist schon wieder alles überstrichen (mit Deckweiss, da man gerade wegen der Virengefahr nicht so einfach an Wandfarbe kommt). Eigentlich wollte ich in diesem Leben ja nichts mehr renovieren, alles so lassen, als Gegenmassnahme zu all dem Sterilen, am besten sogar nicht mehr saugen und auch nicht mehr putzen. Nur fegen. Doch das macht der Mann nicht mit, er mag es nicht verkrümelt oder gar keimig. Mir wäre eine gewisse chronische Krümeligkeit, besonders unter dem Küchentisch, sehr recht, das Leben ist ja schließlich langweilig genug.
© Bettie I. Alfred, 26.2.21