Ich bin weiterhin in der Phase, wo mich ab und an enorm die hinter mir liegende eigene Teenagerzeit interessiert. Es packt mich in manchen Momenten sehr, weil damals, als ich mich in ihr befand, definitiv alles vollkommen anders war als heute. Es gab richtig viele, ganz enorm unterschiedliche Zuhauses. Welten waren das, wie man so schön sagt. Menschen, besonders Eltern ohne Bildung oder Handwerker und Hausfrauen kauften ganz andere Sachen als die Gebildeten. Das schwedischen Möbelhaus „gehörte“ den Lehrern und man traf dort auch nur Lehrer. Auch Jungs und Mädchen waren streng gegeneinander. Fast alle Jungs waren immerzu mit ihren Motorrädern beschäftigt. Echte, oder altersbedingt lediglich als Fotografien vorhanden. Mädchen lasen tatsächlich meistens Dr. Sommer und sammelten gläserne Nippesfiguren. Getrunken, also Alkohol, wurde teilweise schon sehr früh, also am Morgen, aber auch jung. Nicht selten schon mit 13 Jahren mit den Eltern zusammen am tiefergelegten Couchtisch vor der Hitparade oder anderem Fernsehmüll. Die Bundeswehr war allgegenwärtig und Homosexualität gab es, zumindest offiziell, nicht und wenn, waren diese Menschen bunte Phantasievögel aus dem Künstlermilieu. Die Wohnungen kleidete man mit Holz aus und selbst Badewannen und Toilettenschüsseln hatten komische Farben, olivgrün oder sogar dunkelbraun. Von Psychologie hatte nur ein Psychologe oder vielleicht noch engagierter Sozialarbeiter Ahnung, normale Menschen wussten nichts vom Ödipuskomplex oder dem Vorgang der Sublimierung. Die Sonnenuntergangstapete war schlichtweg das Symbol der Freiheit und der Unbeschwertheit. Die Maloche machte viele krank, weil sie daran gekoppelt war, dass der hart arbeitende Vater viel trank und rauchte. Fleisch aß man täglich und die Kinder tranken Cola und Fanta anstatt Biozisch. Wasser trank kein Mensch pur, gar ohne Sprudel, auch nicht der Umweltaktivist oder Heilpraktiker. Alle trugen so enge Hosen, dass die Innereien immerzu abgequetscht wurden. Die ganz „Coolen“ trugen dazu auch ein enges T-Shirt und drüber eine noch engere, ganz winzige Motorradlederjacke. Im Winter niemals eine Mütze, geschweige denn eine lange Unterhose. Alte Leute sahen oft aus wie Steine, beige und grau. Die Handtaschen waren gefährlich, ob ihrer Ecken, an denen man sich wirklich ziemlich unangenehm verletzen konnte. Weich wurde gleichgesetzt mit verkommen. In der Tasche war immer ein winziges Fläschchen Köllnisch Wasser verborgen mit dem mich die Oma begoss, wenn ich stank. Am Kiosk trank man Bier und alle Biersorten und Generationen blieben unter sich. Die Jungen bei den Jungen, die Alten bei den Alten. Meist blieben auch die Gastarbeiter bei den Gastarbeitern, und Hausfrauen bei den Hausfrauen. Die Abiturienten sprachen nicht mit jemandem, der keins hatte. War jemand allein lediglich älter oder jünger in der Ansammlung, als die andern, war er ein Störenfried. In einem Buch mit dem Titel „Es passt mir nicht mehr zu hause“ berichtet ein Heroinabhängiger, dass sein Elternhaus eigentlich o.k. gewesen sei. Alle hätten unter einem Dach gewohnt, Eltern, Kinder, Grosseltern. Er sagt dann wörtlich, dass die Oma ab und zu, wenn mal wieder „Fraktur“ gesprochen wurde, ihm verboten hätte länger als bis 22 Uhr auszugehen. Da wär` er ihr an die Gurgel gegangen und danach hätte man ihn ins Heim gesteckt. Die Redewendung: Fraktur reden, kannte ich nicht. Auch die Bezeichnung die könne ihn mal an die Füsse fassen, was seine Antwort war, kannte ich so nicht. Es hiess übersetzt, dass die ihn mal konnte. Also, konkret sagte er: „Als die Alte mir befahl den Mülleimer runter zu bringen, sagte ich ihr, sie solle mich mal an die Füsse fassen!“ Heute gibt es natürlich auch die Jugend, die sprachlich austeilt, aber im Verhältnis zu damals finde ich ihre Ausdrucksweise extrem undrastisch. Jedenfalls habe ich noch nie einen Teenie von heute diese Art von „Fraktursprache“ anklagen hören. Es ist ziemlich kalt geworden. Ich erschauere des Öfteren am Schreibtisch. In einem Buch über gesunde Ernährung das ich lese, damit ich noch eine Weile mitleben kann, gibt es ein Kapitel, das „Die guten Seiten der Gänsehaut“ heisst. Wenn ich mit dem Buch über die Jugend in den 70ern fertig bin, werde ich mich einmal in Ruhe diesem Thema widmen.
© Bettie I. Alfred, 2019